Samstag, 22. November 2014

Zuggeschichten

Reges Treiben herrscht im Bahnhof Aktöbe (Kasachstan). Soeben ist der Zug Nr. 7, Moskau – Almaty, eingefahren. Viele Menschen verlassen den Zug und noch mehr steigen ihm zu. Bislang hatte ich viel Platz im Viererabteil. 2 Nächte habe ich alleine im Abteil verbracht – bei der Kommenden wird dies höchstwahrscheinlich nicht mehr so sein.

Ich verlasse den Zug um einige Fotos zu machen. Es ist bitter kalt draussen, -15 Grad! Nach ein paar Aufnahmen drängt mich die Kälte wieder zurück in den Zug. In 'meinem' Abteil haben sich bereits zwei junge Kasachen breit gemacht. Jirschan und Jokhan sind Semi-Profiboxer und hatten in Aktöbe je einen Kampf und dadurch ein wenig Geld verdient. Jetzt sind sie auf dem nach Hauseweg nach Chimkent, welches rund 24 Std. Zugfahrt von Aktöbe entfernt liegt. Dementsprechend gut ist ihre Stimmung. Aus ihren Handys dröhnen abwechslungsweise laute, kasachische Popsongs.
Hatte ich vorher allen Platz der Welt, habe ich jetzt dafür eine spannende Begleitung. Nicht nur in meinem Abteil läuft jetzt mehr, sondern auch im ganzen Zug. Aktöbe hat der Zugfahrt gut getan.

Der Treffpunkt ist, wie könnte es anders sein, der Speisewagen, in welchem jeden Abend ohrenbetäubend laute, russische Musik gespielt wird. Ich lerne Oskar, einen Anwalt mittleren Alters kennen.
Er will ein Whatsapp-Video mit mir aufnehmen. Er gibt mir genaue Anweisungen wie er sich das Ganze vorstellt. Also plappere ich meinen vorher bestimmten Text auf seine, in gebrochenen Deutsch, vorher festgelegte Frage los; „Piiter, wie findet Kasachstan?“ Piiter sagt völlig überraschend: „Kasachstan ist ein wunderschönes Land und die Menschen sind äusserst freundlich“ - Ich erhalte Bestnoten vom Regisseur.
Umgehend sendet er das Video an seine ganze Bekanntschaft. Prompt erhält er Antwort von seiner Frau, welche mich zum Essen und Übernachten bei ihnen einlädt, was sicherlich interessant wäre, aber leider aus Zeitgründen nicht im Plan liegt. Oskar zeigt mir noch ein paar Videos von seinem grossen Haus und seinem grossen, deutschen Schäferhund, welcher sein ganzer Stolz zu sein scheint. Anschliessend verschwindet er mit der Bemerkung, dass jetzt Gebetszeit sei.

Dann sind da noch Ashkat, Alexeij und Midhed. Ashkat fährt ebenfalls nach Almaty, um dort einen Sponsorenvertrag seiner Firma mit dem kasachischen Gewichtheberverbands abzuschliessen. Alexeij ist, nach seinen Angaben, Reserve-Kosmonaut im Weltraumbahnhof Baikonur gewesen und ist jetzt mit 44 Jahren pensioniert. Seit seiner Pension fehlt ihm aber eine Aufgabe und er trinkt zu viel. Hätte er nicht zu erwähnen brauchen – er kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Midhed ist ebenfalls betrunken. Die Mutter des 40 jährigen Agraringenieurs ist Tags zuvor verstorben und er ertrinkt seine Trauer in Wodka. Der arme Kerl lallt nur noch und wird deshalb, unverständlicherweise, von den Mitreisenden im Speisewagen nur belächelt.

Jirschan und Jokhan haben zwischenzeitlich, bei einem der wenigen Halte, eine grosse Menge geräucherten Fisch gekauft und diese im Abteil gelagert. Es riecht im Abteil wie auf einem Fischkutter und wir würden wahrscheinlich mühelos eine Lizenz als Fischmarkt erhalten.

Am nächstenTag sind Jirschan und Jokhan weg. Die Fische auch – der Duft jedoch bleibt. Ihre Plätze nehmen jetzt ein Vater/Sohn Gespann ein, welche in Chimkent an einer Hochzeit waren, wobei der Vater aussieht wie Dschingis Khan in Lederjacke.

Schnell ist auch diese Nacht vorüber und wir fahren in Almaty, der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans, pünktlich ein. Mehr als die Hälfte der Reise liegt somit hinter mir...

- 15 Grad in Aktöbe







Aktöbe
Jokhan, Jirschan und der kleine Nursultan
Jirschan und Jokhan auf Fischsuche
Reges Treiben an den Bahnhöfen
Kole -wir sind dann doch noch Freunde geworden
Zug Nr. 7



Speisewagen





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